Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

321 werden“, was durch freiwillige Spenden von ortsansässigen Firmen ermöglicht worden sei. So erhielten dieMänner neueWintermäntel und Hosen, während die Kinder und Frauen mit Wäsche und Kleiderstoffen beschenkt wurden. „Ein zwanglos durchgeführtes Programm brachte Weihnachtsgedichte, gemeinsame Lieder, und eine schöne Weihnachtsunterhaltung kam zustande. Es wurde für die Flüchtlinge, vor allem auch deshalb, weil es direkt am Heilig- abend veranstaltet wurde, ein weihnachtliches Erlebnis.“ Da in dem Bericht trotz des ausdrücklichenWunsches des Oberkreisdirektors keinWort über eine Teilnahme von Einheimischen verloren wird, muss mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Jüchener Feierlichkeiten auch 1948 ganz ohne deren Beteiligung stattfanden. 555 Das war ganz offensichtlich auch ein Jahr später weiterhin der Normalfall. Im „Hochneukircher Amtsblatt“ wurden die Dorfbe- wohner imDezember 1949 aufgefordert, „wenn wir Weihnachten unterm Christbaum in der warmen Stube sitzen“, auch daran zu denken, „dass es auch eine große Anzahl von Menschen und Fa- milien gibt, die durch Not aus ihrer Heimat vertrieben oder noch hinter Stacheldraht sind“ und daher „nicht das Glück haben, unsere deutsche Weihnacht zu feiern“. Anschließend berichtete das Blatt in aufschlussreicher Art und Weise über „Weihnachtsfeiern in Hochneukirch“. Zunächst wurde jene der „Ostvertriebenen“ ge- schildert, die am 17. Dezember im Saale Beyermann stattgefunden hatte. „Unter demTannenbaum beimKerzenschein waren die Ver- triebenen der Orte Hochneukirch und Holz zu einer Weihnachts- feier zusammengekommen, und feierten diese, wie eine große Fa- milie.“ Eine vom Rest der Ortsbevölkerung isolierte Familie, muss wohl hinzugefügt werden, denn als einziger Einheimischer war of- fenbar Bürgermeister Beier erschienen, um „die Weihnachtsgrüße der Gemeindevertretung und der Gemeindeverwaltung“ zu über- bringen. „Der Höhepunkt des Festes war, als der Weihnachtsmann erschien und für jedes Kind eine Tüte in seinem Sack hatte. Au- ßerdem bekam jede Familie noch ein Geschenk, welches durch Spenden von der einheimischen Bevölkerung zusammengestellt war.“ Wiederum werden sich die Flüchtlinge und Vertriebenen als bettelarme Empfänger fremder Gaben empfunden haben, die selbst bei der Gestaltung ihrerWeihnachtsfeier und der Bescherung ihrer Kinder vomWohlwollen der Alteingesessenen abhängig waren. Ähnlich gestaltete sich offenbar der öffentliche Umgang mit ge- handicapten Menschen. Als der Hochneukircher „Bund der Kör- perbehinderten“ amdarauffolgendenTag nämlich seineWeihnachts- feier im Saale Plum abhielt, glichen sich die Bilder erstaunlich stark. Auch in diesemFall saßen dieMitglieder laut Bericht des Amtsblatts „wie eine Familie unter dem Weihnachtsbaum“, der Bürgermeister Beier die Weihnachtsgrüße von Gemeindevertretung und Gemein- deverwaltung übermittelte. Und auch hier erschien derWeihnachts- mann und hatte für jedes Kind eine Tüte und für jede Familie ein Geschenk, die aus Spenden aus der Gemeinde zusammengestellt I nsbesondere für die Flüchtlingskinder waren – darin ist sich auch die Forschung weitgehend einig – Kirche und Schule in ihren neuenWohnorten die wichtigsten Institutionen einer zu- mindest partiellen Integration. Alle weiteren Schritte, die von öf- fentlicher wie privater Seite neben der unumgänglich notdürftigen Unterbringung und der Versorgung mit den lebensnotwendigen Gütern in den Dörfern in dieser Hinsicht unternommen wurden, erscheinen imRückblick selbst bei Berücksichtigung der allgemei- nen Notlage eher halbherzig. INTEGRATIONSVERSUCHE Der „Klassiker“ unter solchen Aktionen waren Veranstaltungen kurz vor Weihnachten, die seit Dezember 1946 durchgeführt wur- den. Sie waren aber – zumindest anfänglich – nicht als Mittel zur schnelleren Integration gedacht, sondern als Feiern der Flüchtlinge unter sich angelegt – so etwa am 23. Dezember für den Amtsbezirk Jüchen. Tags zuvor war „im Auftrage der Gemeinde“ in der Volks- schule Neuenhoven eine „kleine Weihnachtsfeier“ durchgeführt worden - ausdrücklich und wohl auch ausschließlich „für die Flüchtlingskinder“. „Die Bescherung wird aufgrund einer Samm- lung imOrt ermöglicht.“ 554 Solche Veranstaltungen wird es sicher- lich in den meisten Dörfern gegeben haben, ohne dass sie in den Quellen Erwähnung fanden. Gemein ist ihnen bei aller gutgemein- ten Hilfsbereitschaft die Tendenz, die Neuankömmlinge zu sepa- rieren und zugleich als eine Art Almosenempfänger erscheinen zu lassen. Diese Konstellation blieb auch im folgenden Jahr bestimmend, so dass sich der Oberkreisdirektor Anfang Dezember 1948 zu einem Rundschreiben an die Gemeinden seines Aufsichtsbezirks veranlasst sah. Ihm sei mitgeteilt worden, so hieß es darin, dass verschiedene Kommunen wie bereits 1946 und 1947 beabsichtigen würden, wieder Weihnachtsfeiern für die Flüchtlinge durchzufüh- ren. Zwar stelle er es natürlich jeder Gemeinde anheim, ob und in welcher Form sie das tun wolle, empfehle aber eindringlich, solche Feierlichkeiten als gemeinsame Veranstaltungen von Flüchtlingen und Einheimischen anzulegen, was den Umkehrschluss nahelegt, dass das bis dahin nicht geschehen war. Am 10. Januar 1949 berichtete die Jüchener Amtsverwaltung über die lokalenWeihnachtsfeiern. Seitens der „Interessengemein- schaft der Ostvertriebenen“ sei am 19. Dezember 1948 im Kel- zenberger Gemeindesaal eine solche Veranstaltung durchgeführt worden. „Das erforderliche Material für Kaffee und Kuchen und die Bescherung der Kinder wurde durch Sammlungen aufgebracht. Das schön zusammengesetzte Programm verlief ordnungsmäßig und gestaltete sich zu einer schönen Feierstunde.“ Außerdem sei anHeiligabend eine dreistündige gemeinsame Feier „für die Flücht- linge des hiesigen Gemeinschaftslagers“ im Jüchener Jugendheim durchgeführt worden. „Die Flüchtlinge konnten alle reich beschert Anpassung oder Integration?

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