Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

85 und Schüler des Ortes in zwei Räumen Platz finden müssen, wird ein strenges Regiment geführt. Ihr Vater habe sich hinge- gen aus der Erziehung weitgehend herausgehalten. „Der störte sich da nicht dran. Dem war das egal.“ Astrid trifft auch in an- derer Hinsicht das Schicksal der ältesten Geschwister: Sie muss zunächst auf die zweieinhalb Jahre jüngere Schwester, seit Herbst 1939 dann auch noch auf den kleinen Bruder auf- passen. „Ich hätte ihn verwünschen können!“, erinnert sie sich heute lachend. Weil Vater Hugo nicht zum Wehrdienst eingezogen wird, kann er bis zu seiner Einberufung zum Volkssturm im Februar 1945 den Hof bewirtschaften. Nach Schulschluss muss Astrid im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen. So holt sie mittags die Kühe zum Melken von der Weide und bringt sie anschließend zurück. Den größten Teil ihrer Freizeit, so erzählt Astrid Katt- hagen, habe sie aber mit Spielen verbringen können, weil es auf dem Hof einerseits einen „Hütejungen“ gegeben habe und andererseits die zahlreichen Tanten der Großfamilie in unmit- telbarer Nähe gewohnt hätten, die immer dann, wenn es Grö- ßeres zu erledigen gegeben habe, zur Hilfe geeilt seien. sich noch heute an die damals allgemein üblichen „handfesten“ Erziehungsmethoden ihrer Mutter. „Ab und zu kriegten wir eine gewatscht.“ Auch in der Schule, wo sämtliche Schülerinnen Als am 1. September 1939 der Krieg beginnt, machen sich im Hause Kusch zunächst Sorgen und Unsicherheit breit. Zum einen liegt Danzig, einer der zentralen Konfliktherde dieser Tage, nicht weit entfernt, zum anderen stellt sich mit Dietmar am 3. September neuer Nachwuchs ein, was die Ängste der Mutter steigert. „Die Bomber, die flogen über uns nach Danzig.“ Danach aber bleibt das weitere Kriegsgeschehen von Lange- böse entfernt. „Wir hörten das im Radio, sonst aber nicht. Wir haben nichts mitgekriegt vom Krieg.“ 1942 wird Astrid Jungmädel und trägt stolz ihre Uniform. „Wenn wir uns trafen, haben wir gesungen und auch Spiele gemacht“, erinnert sie sich allerdings nur noch vage an diese Zeit. Sie entsinnt sich aber noch auf den Stellenwert, der dem Sport bei den Jungmädeln beigemessen wird. „Da mussten wir auch in andere Dörfer“, erzählt sie mit Blick auf gemein- same Sportfeste. „Und in Sport war ich immer ganz gut.“ Seit Herbst 1944 wird das Heranrücken der Front auch in Langeböse zunehmend spürbar. „Darüber wurde schon ge- sprochen“, erinnert sich Astrid Katthagen, die deutlich merkt, „dass die Eltern auch Angst hatten“. Aber dennoch: „Sie haben „Lenas Haus – zerschossen“ wurde auf der Rückseite dieser undatierten Auf- nahme des Hofs von Familie Kusch notiert. „Wir haben nichts mitgekriegt vom Krieg.“ – Krieg gearbeitet und alles weitergemacht wie eh und je. Aber dass der Russe immer näher kam, das haben wir schon mitgekriegt.“ Schließlich werden auch Fluchtvorbereitungen getroffen. Vater Hugo spannt eine Plane über einen Pferdewagen, um ihn vor Regen und Wind zu schützen. Als sich die Front bedrohlich nähert, wird das Gespann mit Lebensmitteln, Möbeln, Kleidung und anderen Gebrauchsgegenständen beladen. Als das ge- schehen ist, wird der Vater im Februar 1945 jedoch zum Volks- sturm eingezogen. Astrid Katthagen kann sich noch gut entsinnen, dass sie deshalb in der Schule weint und vom Lehrer auf ihren Kummer angesprochen wird. „Ja, der Papa ist weg“, habe sie darauf ge- antwortet. Neben dem Trennungsschmerz bringt die Einberu- fung von Hugo Kusch lebensbedrohliche Probleme mit sich. Helene Kusch kann nicht gut mit Pferden umgehen und ist da- her nicht in der Lage, das zweispännige Fuhrwerk zu führen. Daher wird eine Tante auserkoren, den Wagen für den Fall der Flucht zu lenken. Bis es soweit ist, kümmern sich Mutter Helene und ihre mit im Haus wohnende Schwester weiterhin um das Vieh.

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